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Völkerschauen

Hier, wo heute das Rex Kino ist, war um 1990 das Eden-Theater. Das Eden-Theater war einer der Orte, an denen sogenannte Völkerschauen in Wuppertal stattfanden. Im Dezember 1900 wurde hier auch eine Gruppe von 37 Menschen aus der deutschen Kolonie Togo vorgeführt.

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Völkerschauen: Menschen als Ausstellungsobjekte

Völkerschauen sind ein dunkles Kapitel in der Geschichte Europas. Bereits im 15. Jahrhundert wurden zu ihrem Zweck Menschen aus entfernten Gegenden nach Europa gebracht. 

Völkerschauen fanden bis 1960 in Mitteleuropa statt, die meisten in größeren Zoos, manche aber auch auf Jahrmärkten, Messen, im Theater, in Varietés, im Zirkus und in Gaststätten. Dabei wurden oft Stereotypen verwendet, um diese Veranstaltungen erfolgreicher zu vermarkten. In riesigen Gehegen, die ihre „natürlichen Lebensräume“ simulieren sollten, wurden die ausgestellten Menschen oft wie Tiere eingezäunt. Oft wurden die Menschen gezwungen, Tanz- und Musikdarbietungen oder sogar Kampfszenen vorzuführen. 

Die Menschen, die an diesen Shows teilnahmen, wurden auf verschiedene Weisen angeworben. Oft waren es Agenten, die ursprünglich mit Viehtransporten im europäischen Ausland beauftragt waren und dann den Zusatzauftrag erhielten, „exotische“ Menschen für diese Schauen zu besorgen. Seefahrer und Kaufleute spielten ebenfalls eine Rolle bei der Anwerbung. Tragischerweise konnten viele dieser Menschen nie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Viele verloren ihr Leben in Europa, viele wurden krank oder verfielen der Alkoholsucht. 

Obwohl es schwer zu glauben ist, fanden diese Völkerschauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein statt. Die letzte Völkerschau in Deutschland wurde 1959 veranstaltet, und die allerletzte in Europa fand 1960 in Belgien statt. Dort wurde ein kongolesisches Dorf nachgestellt und 600 Menschen – über 180 Familien – aus dem Kongo ausgestellt. 

Auch in Wuppertal sind 13 Völkerschauen dokumentiert, 10 davon im Elberfelder Zoo und weitere 3 in anderen Veranstaltungsorten, wie dem Eden-Theater. Die Menschen, die im Rahmen der Völkerschauen ausgestellt wurden, wurden aus ihrer Heimat verschleppt oder unter falschen Versprechungen angeworben. Die Menschen wurden durch die Ausstellung objektifiziert, mit Tieren gleichgesetzt, exotisiert und als fremd und anders inszeniert. Zudem wurden die ausgestellten Menschen von Anthropologen und Ärzten benutzt, um ihre pseudowissenschaftlichen Theorien der Rassenlehre, in der weiße Menschen als überlegen und höherwertig dargestellt wurden, zu reproduzieren. Zu ihnen gehörte Rudolf Virchow, nach dem eine Straße in Barmen benannt ist.

Warum waren Völkerschauen so verbreitet? Und was haben die Begriffe White Supremacy und White Gaze mit ihnen zu tun? Suche die zwei Begriffe in unserem Glossar und erfahre in der Audio, wie ein Opernglas 1896 zum Instrument von Widerstand geworden ist.

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Sussy Dakaro – von Australien über die USA nach Deutschland

Als erste Völkerschau in Wuppertal gilt die Ausstellung von vier First Nations Personen aus Australien im Jahr 1885.  Zu dem Zeitpunkt der Völkerschau in Elberfeld lebten nur noch fünf der ursprünglich neun Personen. Die schlechten Bedingungen wie Kälte und Unterernährung, die anstrengenden Reisen und ungewohnte Krankheiten führten dazu, dass viele der ausgestellten Menschen starben. Während ihres Aufenthalts in Wuppertal starb eine weitere Person aus der australischen Gruppe: Ein 1868 in Palm Islands geborenes Mädchen, welches mit 14 Jahren von Menschenhändlern eingefangen und seitdem als Teil der Truppe im Rahmen von Völkerschauen ausgestellt wurde. Bekannt wurde das Mädchen unter dem Namen Sussy Dakaro. Sie starb am 23. Juni 1885 in Elberfeld an Tuberkulose und wurde auf dem Friedhof Wuppertal-Sonnborn bestattet. 

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Heute erinnert ein Gedenkstein auf dem Friedhof an ihre Geschichte. Trotz des Todesfalls zog die Ausstellung ihrer Gruppe weiter. Bis 1902 fanden 9 weitere Völkerschauen im Zoo in Wuppertal statt. Ausgestellt wurden unter anderem Menschen aus Samoa, Somalia, Sudan, Lettland,  Indien, West- und Nordafrika. Ihre Nachfahren stehen im Austausch mit dem Bundestagsabgeordneten Helge Lindh, um den Umgang mit den Gebeinen zu klären.

Wissenschaftler untersuchten die Körper von Sussy Dakaro und anderen nach damaligen rassistischen Vorstellungen. Sie erstellten Gipsabdrücke und bewahrten sie auf. 2021 wurde entdeckt, dass diese Gipsabdrücke im Dresdner Museum für Völkerkunde liegen. Die Ethnologin Birgit Scheps-Bretschneider kümmert sich um diese Sammlung. Sie schlägt vor, die Abdrücke zurückzugeben. Dion Devow, Sprecher des ­Ältestenrats der Manbarra, äußert sich dazu:

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Völkerschauen im heutigen Rex Kino

Nayo Bruce, ein Showunternehmer aus Togo, kam erstmals 1896 nach Deutschland, um an einer Völkerschau in Berlin teilzunehmen, die ursprünglich als Weltausstellung geplant war. Bei seinem zweiten Besuch 1898 unternahm er mit seiner Togotruppe auf eigene Rechnung eine Europatournee, die ihn auch nach Elberfeld führte. 

Dort kam im Dezember 1900 im Eden-Theater, dem heutigen Rex, seine Tochter Regina zur Welt, die von seiner Frau Dassi Creppy geboren wurde. Regina wurde später von der Familie von Baron George von Fircks adoptiert und übernahm nach ihrer Ausbildung die Leitung eines evangelischen Kinderheims in Hamburg. Später wurden Regina und ihre Halbschwestern 1926 nach Togo geschickt, um für die Mission ein Mädchenschulheim zu leiten. Trotz Vorbereitungskursen in Französisch und Ewe hatten die Schwestern Schwierigkeiten, sich in Lomé zu integrieren und litten unter Heimweh. Regina, die 1928 schwanger wurde, heiratete später den Vater ihres Kindes, Jonathan Savi de Tové, und bekam vier weitere Kinder mit ihm. Er spielte eine wichtige Rolle in der Befreiungsbewegung Togos und war maßgeblich an der Unabhängigkeit des Landes 1960 beteiligt. Nach der Unabhängigkeit blieb Regina in Togo und wurde Vorsitzende des Roten Kreuzes. Sie war häufig in Togo im Einsatz, während ihr Mann, nach einem Putsch 1963, Asyl in Deutschland fand und als Ewe-Lektor an der Universität zu Köln arbeitete. Sie lebten gemeinsam in Köln-Ehrenfeld.

Lesetipp

Die Geschichte von Regina wird im Buch „Therese – Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte“ von Hermann Schulz in einem Roman erzählt – mit geänderten Namen, aber an die wahren Erlebnisse Reginas angelehnt.

Hier siehst du ein Gedenkstein, der an Sussy Dakaros Schicksal erinnert. Er steht auf dem alten evangelischen Friedhof in Wuppertal-Sonnborn. Warst du schon einmal dort? Die zwei Symbole stehen für “Frau” und “Weg”.

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Weitergedacht…

Die Geschichte des Kolonialismus hat unsere Art, zusammenzuleben, unwiderruflich geprägt. Wie wäre unsere Welt, wenn es den von Europa ausgehenden Kolonialismus nicht gegeben hätte? Wie sollten sich Menschen aus unterschiedlichen Weltregionen oder Kulturen idealerweise kennenlernen und begegnen? 

In dieser Station hast du die Begriffe White Supremacy und White Gaze kennengelernt. Letzteres steht für der “weiße Blick”. Finde weitere Beispiele für White Gaze. Wo begegnet er dir im Alltag?

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